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Achtsamkeit - mit sich und als Führungsprinzip

11.04.2025
Die multiplen Krisen unserer Zeit lassen die Krankenstände in Unternehmen steigen. Arbeitsbedingter Stress und eine erhöhte Belastung führen zu einem höheren Risiko für physische und psychische Erkrankungen. Gleichzeitig werden finanzielle Ressourcen oft an anderer Stelle dringender gebraucht als in Unterstützungsangeboten und ganzheitlichen Gesundheitskonzepten. Führung bedeutet daher mehr denn je: nicht nur Ergebnisse erzielen, sondern Menschen zu begleiten und zu stärken. Wie Simon Sinek, britisch-US-amerikanischer Autor und Unternehmensberater, sagte:
„Leadership is not about being in charge. It is about taking care of those in your charge.“
Führung ist keine Frage der Macht. Es geht darum, Verantwortung für die Menschen zu übernehmen, die einem anvertraut sind. Ein guter Leader sorgt für sein Team – und schafft die Voraussetzungen dafür, dass jede und jeder das Beste geben kann. Achtsamkeit hilft dabei, sensibel mit den eigenen Ressourcen umzugehen und gleichzeitig die Belastungen der Mitarbeitenden wahrzunehmen und ernst zu nehmen.

Krisenzeiten stressen

Die Zahl der Krankenstandstage ist laut Fehlzeitenreport der Sozialversicherung in den letzten Jahren deutlich gestiegen. In Krisenzeiten erhöht sich die Krankheitsrate in Organisationen, weil Stress, Unsicherheit und hohe Arbeitsbelastung das Risiko für körperliche und seelische Erkrankungen verstärken. Studien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigen: Arbeitsbedingter Stress und psychische Überlastung fördern Depressionen und Burnout – mit steigender Tendenz. Und je mehr Menschen ausfallen, desto höher ist die Belastung für die verbleibenden Teammitglieder. Die Folge: operative Hektik – und ein immer weiter steigender Stresspegel.

Was ist eigentlich Stress – und wie entsteht er?

Stress entsteht, wenn wir ständig auf unsere geschützten Reserven zurückgreifen müssen, weil uns Erholungs- und Entspannungsphasen fehlen. In diesem „roten Bereich“ fühlen wir uns unter Druck und bedroht. Wir haben viel zu tun – und leiden mehr oder weniger stark darunter.Oft wird mittlere Belastung als „guter Stress“ bezeichnet – er hält uns in Bewegung, motiviert und treibt uns an. Aber auch dieser Zustand erschöpft, wenn er anhält.

Stress entsteht durch ein Zusammenspiel von äußeren und inneren Faktoren: Zeitdruck, unklare Abläufe, fehlende Anerkennung auf der einen Seite, hohe Ansprüche, unrealistische Ziele oder das ständige Übergehen eigener Bedürfnisse auf der anderen. Wer solchen Dauerbelastungen ausgesetzt ist, reagiert – meist unbewusst – mit einer sogenannten Stressreaktion. Evolutionär betrachtet eine schlaue Reaktion, das in Zeiten der Säbelzahntiger das Überleben gesichert hat: Kampf, Flucht oder Erstarrung. Die damit verbundenen Verhaltensweisen in vielen alltäglichen Situationen sind Wutausbrüche, Depression, Rückzug oder Suchtverhalten. Wenn sie nicht verarbeitet werden, können daraus ernsthafte gesundheitliche Probleme entstehen – etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen oder Angststörungen. Und natürlich versuchen wir, mit Stress umzugehen. Doch viele unserer Bewältigungsstrategien sind unbewusst, reaktiv – und nicht unbedingt hilfreich. Umso wichtiger ist es, bewusst gegenzusteuern.

Achtsamkeit als Führungsprinzip: Psychologische Sicherheit fördern

Was Mitarbeitende heute mehr denn je brauchen, ist eine starke, zugewandte Führung – eine, die Unterstützung bietet, ehrlich kommuniziert und Unsicherheit aushält. Es geht darum, Ängste vor Veränderung und Zukunft ernst zu nehmen und Menschen im Umgang mit Unsicherheiten zu begleiten. Dafür braucht es eine Unternehmenskultur, in der psychologische Sicherheit nicht nur ein Schlagwort, sondern gelebter Alltag ist: Ein Umfeld, in dem offen über Fehler, Zweifel und Belastungen gesprochen werden kann – ohne Angst vor negativen Konsequenzen.Für Führungskräfte heißt das, Fehler einzugestehen, auch einmal zu sagen: „Ich weiß es nicht.“ Es bedeutet, konsequent zwischen Worten und Taten zu bleiben, verbindlich zu handeln und authentisch präsent zu sein. Ebenso wichtig: Alle Teammitglieder werden gesehen, gehört – und Feedback wird aktiv gelebt. Zuhören wird zur zentralen Führungsqualität.

Doch all das gelingt nur, wenn Führungskräfte selbst gut mit sich verbunden sind. Innere Stärke entsteht nicht durch Funktionieren – sondern durch bewusste Selbstführung. Und genau da kommt Achtsamkeit ins Spiel.

Was ist Achtsamkeit – und was ist sie nicht?

Achtsamkeit, wie sie Prof. Dr. Jon Kabat-Zinn in den 1970er Jahren mit seinem MBSR-Programm (Mindfulness-Based Stress Reduction) bekannt gemacht hat, ist keine esoterische Spielerei, sondern ein wissenschaftlich erprobtes Training, das hilft, besser mit Stress, Ängsten und chronischen Erkrankungen umzugehen. Konkret ist Achtsamkeit ein Training für unser Bewusstsein: Gedanken ziehen lassen, ohne sie zu bewerten – einfach nur wahrnehmen, was gerade ist. Und ja, richtig angewendet, kann das sogar Leben retten – zum Beispiel bei Depressionen.

Und was ist Achtsamkeit nicht? Wer „Achtsam Morden“ kennt – die Netflix-Serie über einen Anwalt, der mithilfe eines Achtsamkeitstrainings zur Work-Life-Balance ganz eigene Bewältigungsstrategien (inkl. Mord) entwickelt – weiß, wie schräg das Thema aufgefasst werden kann. Das hat mit echter Achtsamkeit natürlich nichts zu tun. Achtsamkeit bedeutet nicht, Problemen auszuweichen – sondern ihnen bewusst zu begegnen. Und das zentrale Werkzeug dabei? Der Atem.

In formellen Übungen richtet sich der Fokus auf Atem, Körper, Gedanken oder andere Empfindungen und Eindrücke. In der informellen Praxis geht es darum, Achtsamkeit auf ganz natürliche Weise im Alltag unterzubringen.

Persönliche Stärke durch Achtsamkeit – keine Pflicht, sondern Einladung

Achtsamkeit ist kein weiteres ToDo auf der ohnehin schon langen Liste, sondern eine Einladung, Achtsamkeitspraxis wie eine Liebesaffäre zu behandeln, wie es der Begründer der modernen Achtsamkeitspraxis ausdrückt. Es geht darum, sich Freiräume dafür zu schaffen, sich darin fallen lassen und zu genießen. Ganz ohne Zwang und Druck. 

Durch das Achtsamkeitstraining üben wir, zwischen Reiz und Reaktion einen Freiraum zu erschaffen, in dem eine bewusste Wahl der Handlungsweise möglich wird. Außerdem trainieren wir unser System durch regelmäßige Achtsamkeitsmeditation darauf, schneller aus einer Stressreaktion in den Ruhezustand zurückzufinden. Dabei hilft ein einfaches, alltagstaugliches Modell: das BERN-Modell.

Das BERN-Modell: Alltagstaugliche Selbstfürsorge in vier Buchstaben

BERN - diese vier Buchstaben stehen für die vier zentralen Säulen der Selbstfürsorge und wurden entwickelt von Prof. Dr. med. Tobias Esch.
Behaviour, Exercise, Relaxation und Nutrition – oder auf Deutsch: Verhalten, Bewegung, Entspannung und Ernährung.
Dieses Menü für Achtsamkeit lässt sich mit kleinen Impulsen in den Alltag integrieren und stärkt unsere Selbsthilfe und Widerstandskraft gegen Stress.

Im Bereich Verhalten geht es darum, wie wir mit uns selbst umgehen – mit unseren Gedanken, Bewertungen und Reaktionen. Oft reicht schon ein einziger Gedanke am Morgen, um bewusst in den Tag zu starten: „Wofür bin ich dankbar?“ Vielleicht für die warme Decke, einen lieben Menschen oder die Sonne, die durchs Fenster scheint. Dankbarkeit verändert unseren Blick. Wir entscheiden selbst, welche Richtung wir dem Tag geben und wie wir diesen erleben wollen. Wenn uns der innere Griesgram „Schon wieder Montag?!“ zuflüstert, antworten wir doch einfach mit einem Lächeln - wie Einstein sagte: „Lächle, und die Welt lächelt zurück.“

Bewegung muss kein schweißtreibendes Workout sein. Schon kleine Einheiten im Alltag wirken Wunder – ein Spaziergang zwischen zwei Meetings oder zum nächsten Termin, oder ein paar bewusste Dehnübungen in der Früh vor dem Fenster. Hauptsache, wir kommen in BewegungBewegung wirkt – sie baut Stress ab und schüttet Glückshormone aus. Und damit tun wir nicht nur unserem Körper etwas Gutes, sondern auch unserer Stimmung.

Und genauso wichtig: Ruhemomente für Geist und Seele.
Wie wär's damit - ein achtsamer Start in den Morgen - und dafür brauchst du nur 5 Minuten einplanen: Du schenkst dir jeden Tag in der Früh einen bewussten Augenblick, sitzt still da und genießt den ersten Schluck Tee oder Kaffee. Dann mach ein, zwei, drei bewusste Atemzüge und erst dann gehen Sie den Tag an. Diese wenigen bewussten Momente können Ihren ganzen Tag verändern.

Und schließlich die Ernährung: Achtsames Essen – mit Genuss, in Gemeinschaft, in Ruhe – ist ein einfacher, aber wirksamer Beitrag zur Selbstfürsorge.

Es gibt zahlreiche Mittel und Wege dem Stress, den Anspannungen zu trotzen. Diese 4 Buchstaben können wir wie eine Checkliste nutzen, um einem Unwohlsein rasch auf den Grund zu gehen:
B - Brauche ich gerade jemanden, um über Probleme und Herausforderungen zu sprechen? 
E - Brauche ich jetzt einen (gemeinsamen Spaziergang)?
R - Brauche ich eine Pause?
N - Brauche ich gerade was Nährendes, ein warmes Essen?

Das ist informelle Achtsamkeit im Alltag!

Wenn uns der Stress dann doch einmal überrollt …

… dann brauchen wir eine Art innere Notfallbremse. Dafür eignet sich die SARW-Technik – eine einfache Erste-Hilfe-Methode, um in akuten Situationen wieder handlungsfähig zu werden:

Nimm zuallererst dein Stressempfinden wahr, und unterbrich diesen, indem du zu dir selbst entschlossen „Stop!“ sagst.
Atme anschließend tief durch die Nase in den Bauch ein und  langsam durch den Mund wieder aus.
Reflektiere dann, welche Möglichkeiten der Reaktion du hast, und
wähle die angemessenste aus.“

Regelmäßig angewendet, hilft die SARW-Technik dabei, unter Druck einen klaren Kopf zu bewahren. Das funktioniert auch bei Konflikten in der Familie, mit Freunden, dem Chef oder den Arbeitskollegen.

Fazit: Achtsamkeit ist ein Führungsprinzip mit Wirkung

Führungskräfte müssen ihren Blick für die in Krisenzeiten zunehmenden Belastungen Ihren Team-Mitglieder erkennen. Das gelingt nur, wenn sie sich selbst ernst nehmen: ihre Ressourcen schützen, ihre Bedürfnisse kennen und ihre Kraftquellen pflegen. Achtsamkeit hilft, die eigene innere Stärke zu kultivieren – und sie nach außen weiterzugeben. Auch Coaching kann helfen, die Stärke für sich gut auszubauen.
Wer achtsam führt, schafft psychologische Sicherheit, stärkt das Team und legt den Grundstein für langfristige Gesundheit. So entsteht ein Umfeld für Leistung.